Grüne Haus­halts­rede zum Haus­halt 2024

Haushaltsrede 2024

Sehr geehrter Zuhörende,

zu allererst geht unser Dank an die Mitarbeiterinnen der Verwaltung und damit besonders an unseren Kämmerer Herrn Smolarz und sein Team. Die Aufstellung des Haushalts ist jedes Jahr eine Herausforderung und angesichts der angespannten Finanzlage sicher keine einfache. Wir bewegen uns seit geraumer Zeit von Krise zu Krise. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie tragen schwer, der noch immer tobende Krieg in der Ukraine, der sich weiter zuspitzende Nahostkonflikt, die zunehmende Erderwärmung mit ihren einhergehenden Extremwetter-Ereignissen, das Artensterben, …. Angesichts dieser ständig zunehmenden, globalen Herausforderungen wird es immer schwieriger, mutige, zukunftsweisende Perspektiven zu entwickeln. Diese Geschehnisse wirken sich auch auf die kommunale Politik aus und treiben uns alle um und machen uns an vielen Stellen auch ratlos. Die Hoffnung vieler Bürgerinnen auf einfache Lösungen lässt die Umfragewerte der AFD steigen und steigen.

Der vorliegende Haushalt wiegt in Papierform ca. 1kg, also auch schwere Kost in mehrfacher Hinsicht. Als Seglerin möchte ich an dieser Stelle den Vergleich einer unruhigen, sehr rauen See bemühen: Ich würde mal sagen, wir driften gerade etwas ab!

Der Ergebnisplan weist einen Fehlbetrag von 9,2 Mio. aus. Der Finanzplan ist nicht ausgeglichen. Die liquiden Mittel sinken auf 15 Mio. EUR. Das Investistionsvolumen beträgt für die nächsten vier Jahre rund 63,3 Mio. EUR. Das hohe Investitionsvolumen führt dazu, dass die Aufnahme von Investitionskrediten steigt. Im Jahr 2025 wird die Ausgleichsrücklage aufgebraucht sein, die Sicherung der Liquidität ist ab 2024 nicht mehr sichergestellt. Die allgemeine Rücklage reduziert sich bis 2027 auf 7,3 Mio EUR. Die Tätigkeiten der laufenden Verwaltung und die Tilgungsleistungen können dann nur durch Aufnahme von Liquiditätskrediten finanziert werden.

Die Kreis-Umlage ist saftig gestiegen, das bedeutet eine Mehrbelastung von 0,8 Mio. EUR. Die Jugendamtsumlage hat sich im Kreis seit 2014 mehr als verdoppelt. Die Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges, Inflation, Tariferhöhung, Zinsanstieg und letztendlich auch die Finanzsituation von Bund und Land besorgen den Rest. Der zweitgrößte Kostenblock in unserem Haushalt sind die Personalaufwendungen: Der Personalaufwand steigt um 11,9 %.

Wir befinden uns nicht in dieser Situation, weil wir schlecht oder über unsere Verhältnisse gewirtschaftet haben, sondern weil die Rahmenbedingungen für die Kommunen schlecht sind. Trotz gestiegener Steuereinnahmen befinden wir uns in einer unverschuldeten Schieflage. Bund und Land lassen die Kommunen im Regen stehen. Ich nenne hier beispielhaft nur die mangelnde Refinanzierung bei der Unterbringung, Betreuung und Integration von geflüchteten Menschen oder die nicht auskömmliche Finanzierung der Kindertageseinrichtungen. Auch beim Ausbau der OGSen deckt der Zuschuss des Landes nur einen Bruchteil der notwendigen Investitionen ab. Wenn wir nun die Rahmenbedingungen kennen und die Zahlen des Haushaltes lesen, kommen wir zu dem Ergebnis, dass es mehr denn je erforderlich ist, einen Kapitän an Bord zu wissen, der die Mütze auf hat und den erforderlichen Kurs einschlägt. Beim Segeln hieße das: In stürmischen Zeiten z.B. mal das Großsegel eine Zeit herunterzulassen und nur mit der Fock zu segeln. Heißt übersetzt: Sich zu reduzieren und auf das Wesentliche zu beschränken, um gut durchzukommen.

Derartig lösungsorientierte Bemühungen sehen wir kaum, bzw. zu wenig. Allein die Ausweitungen von Personalstellen im Stellenplan wirft Fragen auf, nicht nur bei der Grünen Fraktion. Anstatt die Verwaltung zu verschlanken und nach modernen Führungskonzepten (Stichpunkte „New Work“ oder „flache Hierarchien“) zu setzen, wird weiter auf alte Hierarchie-Konzepte gesetzt – mit den ersichtlichen Langzeit-Folgekosten. Denn, das wissen wir alle: Sind Stellen erst einmal eingerichtet, sind sie so dauerhaft wie ein gutes Provisorium. Diesen Kurs können wir nicht mit Ihnen gehen. Wir haben bereits im HFA deutlich gemacht, dass wir den Stellenausbau kritisch betrachten.

Den Weg der erforderlichen Investitionen werden wir hingegen gemeinsam mit Ihnen beschreiten, da es sich um Erfordernisse handelt, die wir nicht in Frage stellen. Der Bau des neuen Feuerwehrhauses ist schon lange überfällig, auch die baulichen Erweiterungen im Rahmen der OGS-Entwicklung sind unverzichtbar. Die Investitionen an den Grundschulen sind ein MUSS und kein Luxus, die Investitionen am Hallenbad stehen für uns ebenfalls nicht zur Debatte. Nachhaltig wirtschaften heißt auch, Vorhandenes zu erhalten und zu pflegen. Wir haben die Chance, diesen Ansatz bei dem in absehbarer Zeit zur Verfügung stehenden, alten Feuerwehrhaus zu berücksichtigen. Neben all dem Geld, das wir für die zukünftigen Aufgaben in die Hand nehmen müssen, muss sich ein Haushalt auch immer einer politischen Prüfung, einer Haltungsfrage unterziehen. Diese politische Prüfung oder Haltung orientiert sich in der grünen Fraktion am Kurs der Nachhaltigkeit, dem Klimaschutz und der Transparenz der getroffenen Entscheidungen gegenüber den Bürgern.

Nachhaltigkeit bei schiefer Finanzlage durchzieht diese Haushaltsrede. Die verheerenden Extremwetterereignisse der letzten Jahre auf der ganzen Welt machen deutlich, dass in Punkto Klimawandel fünf vor 12 schon längst vorbei ist. Oft hört man ja das Argument: Ja, ob wir hier was tun oder nicht … Die Chinesen und Amerikaner sind erstmal mal dran. Wer so argumentiert, entzieht sich der eigenen Verantwortung. Auch vor Ort gibt es Handlungsräume und wir sind froh, dass wir Klimaschutz in Lengerich mitdenken. Dennoch gibt es für uns noch einiges zu tun. Die Auswirkung der Klimarelevanz in den Beschlussvorlagen erweckt leider häufig den Eindruck einer gut gemeinten „Alibifunktion“. Wir beabsichtigen in 2024, die Ausweisung der sog. „grauen Energie“, also die Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes entsteht, zu beantragen. Außerdem werden wir im Jahr 2024 verstärkt die Entwicklung der Innenstadt in den Blick nehmen. Die Reduzierung des Autoverkehrs in der Innenstadt ist für uns in mehrfacher Hinsicht zentral: Aufenthaltsqualität, Klimaschutz und Verkehrswende seien an dieser Stelle nur beispielhaft genannt. Auch das Thema Mobilität soll fokussiert werden. Der Ausbau des Radwegenetzes ist unverzichtbar und wir begrüßen die Einstellung in den Haushalt von fast 2 Mio. EUR. Wir wollen den Ausbau des Radwegesystems konsequent voranbringen und neue Wege denken. Einen entsprechenden Antrag auf Einrichtung eines Fahrradmietsystems haben wir bereits gestellt. Aber auch ein städtisches Car-Sharing-System kann in unserem ländlichen Bereich sinnvoll sein.

In Lengerich eröffnen sich in Zukunft zahlreiche Möglichkeiten, auf die soziale und ökologische Quartiersentwicklung Einfluss zu nehmen. Durch die Erschließung neuer Baugebiete ist es möglich, das Soziale und das Ökologische gemeinsam zu denken, ohne dabei individuelle und ökonomische Anforderungen außer Acht zu lassen. Wir werden im HH Jahr 2024 Vorschläge unterbreiten, wie eine sozial gerechte und zeitgleich ökologische Erschließung von Baugebieten aussehen kann. Im Sinne einer nachhaltigen Quartiersentwicklung laden wir alle Fraktionen ein, mit uns Kriterien zur Vergabe und Entwicklung/Erschließung von Bauland zu entwickeln. Die Ressource „Land“ ist ein knappes Gut und bedarf somit einer gerechten und ökologischen – sprich nachhaltigen – Erschließung. In diesem Kontext werden wir außerdem das Thema Niederschlagsmanagement mitdenken. Einen entsprechenden Antrag dazu haben wir bereits gestellt.

Wenn die Ressourcen knapper werden, ist es umso wichtiger, Mittel gerecht und transparent zu verteilen. Unser Anliegen ist es, die Lengericherinnen in die Entscheidungsprozesse einzubinden; ein Anliegen, das wir schon seit vielen Jahren verfolgen. Wir möchten hier nur beispielhaft an die Entwicklung des Integrationskonzeptes erinnern. Durch die Einbindung der verschiedensten Interessengruppen ist ein konstruktiver Prozess in Gang gesetzt worden. Gerade in Zeiten, in denen Ungewissheiten zunehmen und Verunsicherungen größer werden, weil vermeintlich sicher Geglaubtes schwindet oder falsche Versprechungen gemacht werden, ist es wichtig Entwicklungen gemeinsam anzugehen und Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Lassen Sie mich an dieser Stelle konkreter werden: Wenn der Wind rauer wird, ist es umso wichtiger, unsere Entscheidungen durch transparente demokratische Prozesse herbeizuführen, um antidemokratischen Bewegungen das Wasser abzugraben. Wir sehen hier noch Spielräume für den Dialog mit Bürgerinnen, um bürgernahe Entscheidungen treffen zu können. Warum wird die Entscheidung über den neuen Standort des Wochenmarktes nicht gemeinsam mit den Bürgerinnen erarbeitet? Wie wird sichergestellt, dass der Prozess der Quartiersentwicklung in Hohne maßgeblich von den dort lebenden Menschen geprägt wird? Wir sind zwar die gewählten Vertreterinnen im Rat, müssen aber konsequent mitdenken, dass wir es nicht „immer besser oder am besten“ wissen.

Beim Stichwort Transparenz lande ich u.a. beim Tourismuskonzept: Der Prozess der Aufgabenkritik ist im Gange. Aus der Aufgabenkritik lassen sich viele Maßnahmen ableiten, die ggf. auch Einsparungen zur Folge haben. Die GPA hat zahlreiche Handlungsfelder aufgezeigt. Auch wenn die Umsetzung ebendieser bedeutet, sich ggf. von alten Zöpfen verabschieden zu müssen, werden wir eine konsequente Umsetzung der Handlungsempfehlungen einfordern.

Als Beispiel möchte ich nur ganz kurz ein Ergebnis der GPA anführen: „Tourismus spielt in Lengerich eine eher untergeordnete Rolle“. Wenn dem denn so ist, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Entwicklung eines solch umfangreichen Tourismuskonzeptes. Wir werden das Konzept einer genauen Überprüfung unterziehen und den Prozess der zukünftigen Ausrichtung kritisch begleiten. Wir erwarten eine offene Kommunikation über zukünftige Rollen- und Aufgabenzuschnitte und eine kritische Auseinandersetzung mit der kulturellen Infrastruktur. Damit meinen wir auch das Landschaftspark-Konzept oder die teuren Veranstaltungen zum Lengericher Conclusium.

Positiv an dieser Stelle möchten wir hervorheben, dass die Verwaltung unserem Vorschlag gefolgt ist, zu prüfen, ob ggf. freie Träger Aufgaben der öffentlichen Verwaltung übernehmen können. Eine Stelle im Rahmen der Betreuung von geflüchteten Menschen ist an einen freien Träger vergeben worden. Diese Möglichkeit bietet sich für uns auch in weiteren Arbeitsfeldern an. Wir erwarten, dass auch zukünftig das Prinzip der Subsidiarität konsequent mitgedacht wird und dass bestehende Strukturen dahingehend überprüft werden. Dabei ist für uns nicht nur die „Einsparung“ von Stellen ein Leitgedanke, sondern auch die Forderung nach Vielfalt und Trägerpluralität.

Der Bereich OGS wird uns im nächsten Jahr sicherlich noch weiter beschäftigen. Der Bedarf an OGS Plätzen steigt weiter und der sukzessive Rechtsanspruch in 2026 ist nicht mehr weit weg. Trotz aller räumlichen Probleme halten wir uns hier für gut aufgestellt. Wir haben schon früh Qualitätskriterien entwickelt, haben einen OGS Standard entwickelt, den das Land bis jetzt nicht hinbekommen hat. Aber auch hier gilt es hinzugucken: Wie können wir, angesichts dessen, dass kein zusätzliches Geld für den OGS Ausbau vom Land zur Verfügung gestellt wird, dafür sorgen, dass unsere Kinder weiterhin gut betreut werden, ohne dabei unsere selbst formulierten Standards aufzuweichen.

In Zeiten knapper Kassen besteht immer die Gefahr, im Bereich „Soziales“ zu kürzen. Die auskömmliche Finanzierung unserer sozialen Infrastruktur liegt zwar nicht ausschließlich in unseren Händen, wird aber durch uns mitgestaltet. Gerade in Zeiten, in denen die Gesellschaft tief gespalten ist und antidemokratische Bewegungen Fahrt aufnehmen, ist es Aufgabe von Politik, am Ziel des sozialen Friedens festzuhalten. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass im Bereich der freiwilligen Leistungen keine Kürzungen vorgenommen wurden. Die Einstellung von 40.000 EUR für die von uns initiierte Spielleitplanung ist richtig und gut. Stadtentwicklung muss sich auch an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientieren.

Im Zusammenhang mit sozialer Verantwortung möchte ich an dieser Stelle kurz auf das Thema Armut in Lengerich eingehen: Durch unseren Antrag im vergangenen Jahr konnten wir anregen und sicherstellen, dass das Thema „Armut in unserer Stadt“ regelmäßig auf der Tagesordnung steht. Wir werden dafür Sorge tragen, dass kommunale Handlungsspielräume identifiziert werden und es sich nicht nur um eine bloße Berichterstattung handelt. Viele Städte haben bereits regionale Strategien zur Armutsbekämpfung entwickelt.

Im Bereich der Schul-und Bildungspolitik ist unser Gestaltungsspielraum eingeschränkt, aber durchaus vorhanden. Gemeinsam konnten z.B. alle Fraktionen die unsägliche Debatte um die gleichwertige Verpflegung an beiden Standorten der weiterführenden Schulen beenden. Gemeinsam mit den Schulen und Elternvertretern wurde eine zufriedenstellende Lösung erarbeitet. Der Mensa-Verein wird zukünftig ein ausgewogenes, gutes Schulessen für alle Kinder der weiterführenden Schulen vorhalten. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Politik gemeinsam, also parteiübergreifend, gute und nachhaltige Lösungen, manchmal auch gegen den Wunsch der Verwaltung, hinbekommt. Sachorientierte Lösungen sollen auch das Jahr 2024 prägen, denn trotz einer angespannten Haushaltslage hat Politik Spiel- und Gestaltungsräume. Das macht Mut und stärkt die Demokratie. Ein Kurs der sich lohnt – auch bei rauer See.

Auch wenn wir den Haushalt an vielen Stellen kritisch betrachten und eine zukunftsweisende, lösungsorientierte Strategie vermissen, werden wir dem Haushalt zustimmen, weil es nicht unserer Haltung entspricht, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Wir werden auch im Jahr 2024 sachorientiert an Lösungen arbeiten um gemeinsam mit der Verwaltung und den anderen Fraktionen eine nachhaltige, zukunftsfähige Idee von Lengerich zu entwickeln.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen Mast- und Schotbruch und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel.

Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen